Moderne Architektur trifft auf antike Schätze. Wo? In der neuen Steinhalle des Alzeyer Museums. Dort sind mit die bedeutendsten römischen Funde auf deutschem Boden zu sehen. Die Tempel- und Weihesteine, Säulen und Skulpturen erzählen Geschichte(n), die auch nach 2000 Jahren noch spannend sind.
Die neue Steinhalle des Alzeyer Museums lässt die Römerzeit lebendig werden
Sie sind unbeweglich und stumm. Und dennoch erzählen sie
Geschichte und Geschichten. Lange fristeten sie ein trostloses Dasein in einem
Gelass im Hinterhof des Alzeyer Burggrafiats. Vor
den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Doch nun haben die Zeugnisse der
römischen Vergangenheit eine große Bühne bekommen – und was für eine. In der
neuen Steinhalle des Alzeyer Stadtmuseums sind Tempelsteine, Kapitelle, Säulen
und andere Exponate aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr.
geradezu spektakulär präsentiert. Ein Muss für Römer-Fans und archäologisch
Interessierte, aber auch spannend für alle anderen Besucher von Rheinhessens
„heimlicher Hauptstadt“. Und das nicht zuletzt wegen der modernen, sakral
anmutenden Architektur des Baus.
Die Steinhalle setzt an dieser Stelle mit ihrer modernen Gestaltungsform ein optisches Ausrufezeichen im Alzeyer Stadtbild (c) Annegret HirschmannGroße Fenster an den Seitenwänden lassen viel Tageslicht ein. Es sind „Schaufenster“ im eigentlichen Sinn des Wortes. (c) Annegret HirschmannDurch eine ausgeklügelte Beleuchtungstechnik gut ins Licht gesetzt: die römischen Schätze des Museums Alzey (c) Annegret Hirschmann
Beim Betreten des rund 30 Meter langen
und rund sechs Meter hohen Raums schweift der Blick über die Phalanx der
Säulen, Quader und Skulpturen. Die sind einerseits durch eine ausgeklügelte
Beleuchtungstechnik gut ins Licht gesetzt, andererseits fällt durch die großen
rechteckigen Fenster an den Seitenwänden Tageslicht ein. Es sind „Schaufenster“
im eigentlichen Sinn des Wortes, wie Museumsdirektor Dr. Rainer Karneth
verdeutlicht: „Durch diese großen Fenster sollen die Leute neugierig gemacht
werden, auf das, was wir hier haben.“ Besonders eindrucksvoll ist das nach
Einbruch der Dunkelheit, wenn der Innenraum erleuchtet und die Fassade
angestrahlt ist.
Dann wirkt der gesamte Baukörper noch
eindringlicher als tagsüber. Der mit graubraunen Tonpaneelen verkleidete Bau
ist ein starker Kontrast zum barocken Bau des Museums, in dem einst ein
Hospital untergebracht war. Ein Kontrast, der von Architekt Ernst Eichler ganz
bewusst gesetzt wurde. „Es ist ein Museum und soll als solches auch erkennbar
sein“, sagt der Alzeyer. Ein stilistischer Abklatsch zum bestehenden Museum, an
das die Steinhalle angebaut wurde, verbot sich für Eichler von vornherein. „Wir
wollten diesen spannungsvollen Kontrast zum alten Haus und einen Dialog, der
beide Stile verbindet“, erläutert Eichler. Die umgebende Bebauung ist durch
einen unruhigen Stilmix der Sechziger und Siebziger gekennzeichnet. Insofern wäre
eine historisierende Architektur an dieser Stelle auch keine schlüssige Lösung.
Die Steinhalle setzt an dieser Stelle mit ihrer modernen Gestaltungsform ein
optisches Ausrufezeichen im Alzeyer Stadtbild. Eine Optik, die beeindruckt –
und polarisiert. Die Ästhetik liegt allerdings auch bei diesem Bauwerk im Auge
des Betrachters. Spötter bekritteln, der Bau erinnere an ein U-Boot. Damit kann
Museumsdirektor Karneth aber gut umgehen. „Wir tauchen ja auch tief ein in die
römische Geschichte in unserer Stadt“, merkt er augenzwinkernd an.
Auf 3,3 Millionen Euro beziffern sich die
Baukosten. Kein Pappenstiel. In der Summe sind allerdings auch der
barrierefreie Zugang zur städtischen Tiefgarage und der Anschluss an das Museum
enthalten. 85 Prozent der Kosten für die Steinhalle fließen aus Mitteln der
Europäischen Union. Ohne diese zweckgebundenen Mittel hätte dieses kulturelle
Kleinod nicht realisiert werden können. Hätten die Alzeyer die Gelegenheit
nicht beim Schopf ergriffen, wären die Gelder in eine andere Stadt oder Region
innerhalb der EU geflossen. Die Römersteine wären dann wohl bis zum
Sankt-Nimmerleinstag in der Hinterhofkammer des Burggrafiats verschwunden.
Beim Bau wurden nur Materialien
verwendet, die auch schon die Römer kannten: Holz, Glas, Ton und Beton. Beton? Ja,
Beton. „Den hatten die Römer ‚erfunden‘“, verdeutlicht Eichler. Und so schlägt
der Baukörper eine Brücke zu seinem Inhalt. Der gewährt dem Betrachter
gleichermaßen tiefe wie auch überraschende Einblicke in die Zeit vor rund 2000
Jahren, als Alzey noch Altiaium hieß. Erstmals erwähnt wird dieser Name auf
einem Nymphenstein aus dem Jahr 223 n. Chr.. Der ist in der gut sortierten
römischen Abteilung des Museums nebenan zu sehen. Diese „Geburtsurkunde“ macht
Alzey zu einer der ältesten Städte Deutschlands. So wird Alzey schon im 18.
Jahrhundert, als der Nymphenaltar gefunden wurde, als alte Römerstadt
beschrieben.
Nymphenstein: Auf dem 1783 gefundenen Nymphenaltar aus dem Jahr 223 n. Chr. ist der Name Alzey erstmals erwähnt. Er gilt damit als „Geburtsurkunde“ der Stadt.
Die bei Ausgrabungen in den Jahren
1929/31 zutage geförderten Funde untermauern dieses Attribut. Rund 80 Altäre,
Weihesteine, Teile von Jupitersäulen und Architekturfragmente aus der Zeit
zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. wurden seinerzeit unweit des
Standorts des alten Römerkastells freigelegt. Sie stammen aus dem zerstörten
Vicus Altiaium und waren später in einem Gebäude des Kastells verbaut. Die
römischen Baumeister und Handwerker bedienten sich damals des hellen Sandsteins
aus den nahegelegenen Flonheimer Steinbrüchen.
Fast acht Jahrzehnte später, im Jahr 2003, kam es zu einem weiteren spektakulären Fund, der Alzey einmal mehr in den Fokus der Fachwelt rückte. Mit einem Magna Mater-Altar und Teilen eines Götterpfeilers wurden weitere bedeutende Zeugnisse der römischen Stadtgeschichte ausgegraben.
Magna Mater-Altar: Am 11. November 237 n. Chr. stiftete die Trierer Ratsherrentochter Pacatia Pacata einen Altar für die Große Muttergöttin, auch Kybele genannt. Die Römer übernahmen diesen aus Kleinasien stammenden Kult 204 v.Chr. Der Altarstein war der Zeugungskraft des Patricius Cybelicus gewidmet, der sich für die Große Göttermutter entmannt hatte.
„Alzey hat dadurch einen großen
Stellenwert in der Welt der römischen Archäologie erlangt“, ordnet Rainer
Karneth die Bedeutung der Funde ein. „Der Fund aus 1929/31 ist mit einer der
größten auf deutschem Boden.“ Zunächst wurden die Römersteine in einem Lagergebäude
des ehemaligen Prinz-Emil-Komplexes ausgestellt. Danach wanderten sie ins
Casinogebäude, in dem heute das Jugend- und Kulturzentrum beheimatet ist, bevor
sie dann im bereits erwähnten Hinterhof-Gelass verschwanden.
Nun haben die
Steine ein Domizil gefunden, in dem sie ihre Geschichte erzählen können. Eine
Geschichte mit bemerkenswerten Kapiteln. Etwa der Erkenntnis, dass Alzey in der
römischen Zeit ein Kur- und Badeort
gewesen ist. Grundlage des damals florierenden Kurbetriebs waren Quellen und
Brunnen mit schwefelhaltigem Heilwasser. Das wurde in den Kuranlagen vom
medizinischen Personal bei den Kurgästen angewendet. Es gab auch einen
Tempelbezirk, wo man sich des Beistands der Heil- und Quellgottheiten
versichern konnte.
Apollo Grannus: Ursprünglich eingemauerte Weihinschrift für einem dem römisch-keltischen Apollo Grannus geweihtes Heiligtum. Apollo, römischer Gutt der Künste und Heilgott, wurde hier dem keltischen Gott Grannus gleichgesetzt, der an Heilquellen verehrt und bei Krankheiten angerufen wurde. Die Inschrift lautet übersetzt: Dem Apollo Grannus hat Martius Senopatius (diesen Tempel) geweiht am 18. August unter den Konsuln Piso und Iulianius (175 n.Chr.)
Dass die Menschen in dieser Zeit diesen Beistand der Götter gerne
erbaten, belegt ein Weihestein aus dem Jahr 175 n. Chr. Dieser Stein war
vermutlich Bestandteil eines großen Tempels, den Martius Senopatius Novellus bauen
ließ und der Apollo Grannus gewidmet ist. Das geht aus der Inschrift hervor. Offenbar
hat die römisch-keltische Gottheit Novellus bei dessen Genesung besonders
geholfen. Zum Dank ließ dieser dann den Tempel errichten. Hilfe gewährte aber
auch die Heilgöttin Sirona, die in den keltisch geprägten Provinzen als
Kultbegleiterin von Apollo Grannus in Erscheinung tritt. Beiden hatten die
Alzeyer aus Dank ebenso Weihesteine gestiftet wie für Juno und die aus dem
englischen Bath bekannte Dea Sulis, für die Nymphen und Apollo Demioncus.
Jupitersäulen: In der Steinhalle des Alzeyer Museums sind mehrere Jupitersäulen bzw. einzelne Teile dieser Säulen, die dem höchsten Gott der Römer gewidmet waren, zu sehen.
Ein nicht unbedeutender Teil der ausgestellten Steine sind Teile von
Jupitersäulen. Besonders reizvoll sind dabei die Darstellungen des römischen
Hauptgotts als so genannter Gigantenreiter. Bärtig und mit wallendem
Haupthaar reitet Jupiter über einen am Boden liegenden Giganten hinweg. Der besiegte
Feind der Götter ist in der Skulptur aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. als
Mischwesen mit menschlichem Körper und Schlangenbeinen dargestellt. Nicht nur an
dieser Skulptur bleibt der Blick haften und es offenbaren sich bei näherem
Hinsehen reizvolle Details. Man staunt und sieht sich in unvermittelt in die
römische Mythologie mit ihren Göttern
und Ritualen versetzt.
Jupitersäule Giganten: Dieser obere Teil einer Jupitersäule aus dem 3. Jahrhundert zeigt Jupiter, den römischen Staats- und Himmelsgott, wie er über einen am Boden liegenden Giganten hinwegreitet.Viergötterstein: Die römischen Götter Vulcanus, Venus, Minerva und Herkules sind auf diesem Viergötterstein einer Jupitersäule aus dem 1. Jahrhundert nach Christus abgebildet.
„Was für uns heute wichtig ist, ist das Spektrum der
Götter, die hier vertreten sind“, lenkt Museumsdirektor Karneth den Blick auf
die Erkenntnisse für die Nachwelt, die sich aus den Steinen ablesen lassen. Ähnlich
wie die in ihr ausgestellten Funde stößt die Steinhalle in der Fachwelt auf
eine vielversprechende Resonanz. So steht etwa die Generaldirektion Kulturelles
Erbe Rheinland-Pfalz dem Projekt positiv gegenüber. Die Steinhalle soll zudem
Teil der Römerroute Rheinhessen (www.roemerroute-rheinhessen.de)
werden. „Alzey wird einer der Meilensteine dieser Route sein“, ist sich Rainer
Karneth sicher.
Die in der Steinhalle gezeigte Sammlung römischer
Fundstücke wird für die Besucher informativ präsentiert. Texttäfelchen geben
Auskunft über das jeweilige Fundstück. Per QR-Code kann sich der Besucher auch
digitale Informationsquellen erschließen. Größere Texttafeln an den Wänden
liefern prägnant formuliertes Hintergrundwissen zur Römerzeit in Alzey und
helfen den Besuchern, das Gesehene einzuordnen.
Multimedia 1 und 2: Auf einer Plattform im Obergeschoss der Steinhalle ist eine Multimedia-Station eingerichtet, bei der man virtuell und interaktiv in die Welt der Römer eintauchen kann. Von hier hat man auch einen guten Überblick über den Ausstellungsraum.
Auf einer Plattform im Obergeschoss der Steinhalle
ist eine Multimedia-Station eingerichtet, bei der man an zwei Computermonitoren
virtuell und interaktiv in die Welt der Römer eintauchen kann. Von hier hat man
auch einen guten Überblick über den Ausstellungsraum. Zu dessen Ausstattung wird
künftig auch ein besonderes multimediales Detail zählen: Eine „Sounddusche“ im
Eingangsbereich. Wer darunter steht, erfährt Wissenswertes aus der Alzeyer
Stadtgeschichte. Eingesprochen wurde dieser in Dauerschleife abgespielte Text
vom Mainzer Schauspieler Tino Leo.
Im benachbarten Alzeyer Stadtmuseum sind in Vitrinen zahlreiche Funde aus der Römerzeit zu sehen.
Mit der neuen Steinhalle hat die Volkerstadt eine
über die Stadtgrenzen hinausstrahlende Attraktion gewonnen. Die Ausstellung
vermittelt Einblicke in die Zeit, als die Römer mit ihrer Kultur die Region beherrschten.
Wer auch über die anderen Epochen der Stadtgeschichte mehr erfahren möchte, der
sollte unbedingt das mit der Steinhalle verbundene Stadtmuseum besuchen. Dessen
Sammlung vermittelt – ebenfalls anschaulich aufbereitet – Einblicke in die
bewegte Alzeyer Historie. Benutzerfreundlich. Denn wie die Steinhalle selbst, ist
auch das Museum bei freiem Eintritt barrierefrei zu besichtigen. Ein Angebot,
das es nicht überall gibt.
Steinhalle und Museum der Stadt Alzey
Antoniterstraße 41
55232 Alzey
Tel.: 06731 49 88 96
Mail: museum@alzey.de
Internet: www.museum-alzey.de
Öffnungszeiten:
Mo – Fr 10 bis 12.30 u. 13.30 bis 16.30 Uhr
Sa, So und Feiertage 10 bis 12 und 14
bis 16.30 Uhr
Führungen: Buchbar über die Tourist-Information, Tel.: 06731 49 93 64; Mail: touristinfo@alzey.de
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