Ganz besondere Frühlingsboten erwachen jedes Jahr in Gau-Odernheim: leuchtend gelbe Wildtulpen, auch Weinbergstulpen genannt. Heimat dieser botanischen Besonderheit ist die Südseite der Weinbergslage „Lieberg“ – rund einen Kilometer vom Ort entfernt.
Gelb
für Fröhlichkeit und Lebensfreude: Die seltenen Wildtulpen von Gau-Odernheim
Strahlendes Gelb – Fröhlichkeit und Lebensfreude
Dieser Schatz darf sich mit einem Superlativ schmücken: „größtes Vorkommen von Wildtulpen nördlich der Alpen“. Zu bewundern ist die Tulipa sylvestris (so der lateinische Name) nur wenige Wochen im Jahr meist zwischen Mitte April und Anfang Mai – nächste Woche ist es voraussichtlich soweit. Wir finden: Ein echter Ausflugstipp – steht Gelb doch für Fröhlichkeit und Lebensfreude.
Wildtulpen auf dem Lieberg
Unsere Autorin Marina
Noble war in den letzten Jahren mehrmals vor Ort. Vor kurzem hat sie Manfred
Brunn, den Vorsitzenden der Naturschutzgruppe Gau-Odernheim, getroffen und
dabei viel Wissenswertes erfahren. Die 125 Mitglieder der Gruppe machen sich
für die geschützten Gewächse stark. Den Vorsitzenden haben sie gar sein ganzes
Leben begleitet: „Schon als Bub waren die Tulpen da, aber sie haben niemanden
interessiert. Naturschutz war damals noch unbekannt.“ So führten Pestizide und
die intensive Bearbeitung der Weinberge dazu, dass der Bestand immer weiter
schrumpfte. Als sich in den 80er Jahren
der grüne Gedanke immer stärker verbreitete, wurde Manfred Brunn mit einigen
Freunden aktiv. Sie erreichten, dass die Pflanzen 1985 von der Kreisverwaltung
unter Naturschutz gestellt wurden – eine Grundlage für ihren Erhalt.
Das „Tor“ zu den seltenen Pflanzen
Schon vor 40 Jahren
„Blume des Jahres“
Auch die von Loki Schmidt,
der Ehefrau des ehemaligen Bundeskanzlers, gegründete „Stiftung zum Schutz
gefährdeter Pflanzen“ erkannte früh die Bedrohung und kürte die Wildtulpe vor
genau 40 Jahren zur „Blume des Jahres“. Die Begründung ist auf der
Stiftungs-Website nachzulesen: „Die vielen Tulpenzüchtungen, die im Frühjahr in
großer Fülle und Verschiedenartigkeit die Gärten, aber auch die Blumenläden
schmücken, ließen den Rückgang der Wildtulpe fast unbemerkt. Dabei ist sie – ähnlich
wie die Gelbe Narzisse – eine der bemerkens- und liebenswertesten
Frühlingsblumen, deren Verschwinden diese vielbesungene Jahreszeit farblich
düsterer und in ihrer Vielfalt ärmer werden lässt.“
Blume des Jahres schon 1983
Woher stammen die
Wildtulpen?
Ursprünglich war die
Tulpenart im Mittelmeer-Raum zuhause. Dort galt sie als besonders nobles
Gewächs. Darüber, wie sie ihren Weg zu uns fand, gibt es verschiedene Theorien,
die keiner überprüfen kann. Diese Geschichte hält Manfred Brunn für am
wahrscheinlichsten: Zu den Märkten, die im Mittelalter außerhalb der
Stadtmauern stattfanden, kamen auch Händler aus Italien. Zu ihren Waren zählten
Wildtulpen-Zwiebeln, die sie als Heilmittel verkaufen wollten. Jedoch fanden
diese keinen reißenden Absatz, wohl weil die Einheimischen zu skeptisch waren.
Also haben die Händler die Zwiebeln einfach in den nahen Weinbergen weggeworfen.
Dort haben sie sich wild vermehrt. Gut für uns!
Heimat zwischen den Reben
Warum wachsen die
Blumen gerade dort?
Am Lieberg finden die Pflanzen ideale Voraussetzungen. Sie mögen den
nährstoffreichen, feuchten und durchlässigen Löss-/Lehmboden. Positiv ist auch das
milde Klima mit viel Sonne und wenig Niederschlag, für das Rheinhessen bekannt
ist. Ein wichtiger Faktor ist zudem, dass die Winzer bei der Bearbeitung der
Weinberge auf die Pflanzen Rücksicht nehmen. Im heimischen Garten wachsen die
Blumen übrigens nicht – daher macht es keinen Sinn, Zwiebeln auszugraben. Das
ist sowieso verboten!
Wie sehen die Tulpen
aus?
Sie gehören zur Familie
der Liliengewächse – wie übrigens auch die Gelbe Narzisse. Außerhalb der
Blütezeit sind die Zwiebelgewächse praktisch nicht zu erkennen. Ausgewachsen werden
sie 30 bis 60 Zentimeter hoch. Die bis zu 30 Zentimeter langen, blaugrünen
Blätter sind schmal und laufen spitz zu. Die ebenfalls spitzen Kelche sitzen
auf einem Stängel. Wenn Ihr genau auf die Farben achtet, seht Ihr: Sie sind
außen grünlich oder rötlich. Die leuchtend gelbe Farbe haben die Blütenblätter
an der Innenseite.
Die Kelche öffnen sich bei Sonne
Wann sind sie zu sehen?
Die genaue Blütezeit hängt von verschiedenen Wetter-Faktoren ab und dauert maximal drei Wochen meist im Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai. Ist es heiß, kann das Naturschauspiel schon nach einer Woche vorbei sein. Auch öffnen sich die Blüten nur bei schönem Wetter. Sie schließen sich bei schlechtem Wetter und wenn es dunkel wird. Infos gibt es bei Manfred Brunn, Tel: 07733-6636, E-Mail: m_brunn@t-online.de.
Wie komme ich hin?
Am umwelt- und damit tulpenfreundlichsten natürlich mit dem Fahrrad. Wenn Ihr auf dem Selztal-Radweg unterwegs seid, kommt Ihr auch durch das Hügelland von Gau-Odernheim. Die landschaftlich hübsche Route folgt dem Flüsschen Selz von der Quelle bis zur Mündung (Gesamtlänge: 68,6 Kilometer) Selztal-Radweg – Touren – Rheinhessen. Von umliegenden Städten wie Worms oder Wörrstadt fahren Linienbusse nach Gau-Odernheim. Für PKWs gibt es nahegelegene Parkplätze an der Petersberghalle. Von dort führt ein circa ein Kilometer langer, leicht ansteigender Weg zum Fuß des Lieberg. Er ist befestigt und gut ausgeschildert. Erste Infos liefert eine Tafel vor der Überquerung der Selz.
Infotafel an der Selz
Gibt es die Wildtulpen
nur in Gau-Odernheim?
Nirgendwo soll es so viele
wie dort im „größten Vorkommen von Wildtulpen nördlich der Alpen“ geben. In
Rheinhessen findet Ihr ein kleineres Vorkommen an verschiedenen Stellen im
Schlosspark des Wormser
Stadtteils Herrnsheim (auch zu anderen Jahreszeiten sind das Schloss und
der schöne angrenzende 10,5 Hektar große Park, der als bedeutendster englischer
Landschaftspark in Rheinland-Pfalz ausgezeichnet ist, ein lohnendes
Ausflugsziel). Ebenfalls kleinere Standorte liegen in den Weinbergen des
Landauer Ortsteils Mörzheim und in Franken.
WILDTULPEN-BLÜTENFEST, SO 23. APRIL 2023 Ihrem botanischen Schatz hat die Naturschutzgruppe Gau-Odernheim ein eigenes Event auf ihrem Natur-Erlebnis-Platz gewidmet. Das Wildtulpen-Blütenfest rückt die seltenen Pflanzen bei Führungen in den Mittelpunkt. Vom Festplatz bringt ein Traktor-Shuttle die Besucher, die nicht laufen möchten, zum Lieberg – hin und zurück oder auch nur eine Strecke. Wissenswertes und Erklärungen zum Natur- und Vogelschutz gibt es auch auf dem Festplatz. Anschauungsobjekte dafür sind ein Bienenhotel, die Fledermaushütte und eine Trockenmauer. Eine Idee für daheim könnte Euch die Benjeshecke liefern. Diese aus Ästen, Sträuchern und Gras geschichtete Hecke entwickelt sich im Laufe der Zeit zum Lebensraum für Vögel, Igel, Insekten und andere Kleintiere.
Auf dem Weg zum Lieberg
UNTERWEGS IN DER GEGEND Gau-Odernheim: Die Gemeinde an der Selz mit ihren Fachwerkhäusern im alten Ortskern lohnt einen Rundgang. Eine Besonderheit ist die gotische Simultankirche aus dem 14./15. Jahrhundert. Dort trennt eine Mauer den katholischen und evangelischen Teil. Informationen und Unterkunftsverzeichnis: Gau-Odernheim – Das Kleinzentrum im Herzen Rheinhessens
Petersberg: Die mit 246 Meter höchste Erhebungen Rheinhessens liegt dem Lieberg direkt gegenüber. Den relativ steilen Aufstieg belohnt oben ein weiter Rundblick bis zum Taunus und der Frankfurter Skyline. Überreste einer romanischen Kirche erinnern daran, dass der Petersberg vor langer Zeit Ziel von Wallfahrern war. Eine schöne Rundroute zwischen Gau-Odernheim und Bechtolsheim ist der sieben Kilometer lange „Kulturweg Petersberg“. Kulturweg Petersberg – Touren – Rheinhessen
Ausschilderung für Wildtulpen und Kulturweg Petersberg
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