13. Oktober 2021

Recap 2020 – Wie war denn nun eigentlich dieser Jahrgang 2020?

Der Herbst ist da, die ersten Blätter fallen und die Lese für den neuen Jahrgang ist in vollem Gange. Reflexartig schießt mir die Frage in den Kopf, wie der neue Jahrgang wohl wird. Dabei ergibt es eigentlich jetzt erst Sinn, den letzten zu beurteilen. Um das nicht nur anhand meiner eigenen Nasen- bzw. Zungenspitze zu tun, habe ich mich mit Christian Runkel vom VDP-Weingut Bischel und Johannes Trautwein von der Weinkellerei Trautwein getroffen und sie gefragt, wie 2020 im Rückblick für sie war, und was die Weine nun tatsächlich können.

Christian Runkel vom VDP-Weingut Bischel in Appenheim und Johannes Trautwein von der Weinkellerei Trautwein in Lonsheim ©schiebezimmer / Johannes Schiebe

Wie so oft ist die Antwort etwas komplizierter als die Frage, denn um einen Jahrgang zu beurteilen, gilt es, mehrere Ebenen zu betrachten. Zuoberst steht die Reife und Gesundheit der Trauben und damit auch die Weinqualität. Daneben spielen auch die Erntemengen und das voraussichtliche Alterungspotential eine Rolle. Zusätzlich müssen die Besonderheiten bewertet und in den Kontext der vorherigen Jahre gesetzt werden. Trotz ihrer unterschiedlichen Positionen in der Weinwelt, waren sich meine Gesprächspartner in den meisten Punkten weitestgehend einig.
Wer sich an den letzten Sommer zurückerinnert, denkt vermutlich an sonnige Tage im eigenen Garten bzw. auf dem Balkon. Schwimmbad und Biergarten war ja nicht… Von der Pandemie unbeeindruckt hat uns das gute Wetter in 2020 erneut einen frühen Jahrgang mit reifen und gesunden Trauben beschert. Lediglich zum Ende hin mussten sich die Winzer ein wenig mit der Ernte sputen, damit bei den heißen Temperaturen im September nicht die Säurewerte in den Keller rauschen.

Natürlich hat der reine Sonnenschein für Landwirte auch immer eine Kehrseite, denn ohne Regen keine (Feld-)Frucht. Geringere Niederschläge sind für die Reben aufgrund des ausgeprägten Wurzelewerks nicht das entscheidende Thema. Dennoch haben sich die Erntemengen je nach Wasserverfügbarkeit des Standorts teils stark unterschieden. Wer Auskunft über die trockensten Lagen Rheinhessens haben möchte, kann nach dem letzten Jahr einfach Johannes Trautwein fragen.

Für das Weingut Bischel sind heterogene Erntemengen kein wirkliches Problem, da sie ohnehin mit recht geringen Erträgen (55-60 Hektoliter pro Hektar) arbeiten. Überraschende Ausreißer gab es, auch dank der Wasserhaltekapzitäten der Appenheimer Kalkböden, nicht. Laut Christian Runkel konnte das Weingut mit 2020 den dritten außergewöhnlich guten Jahrgang in Folge verbuchen. (O-Ton: Ein Bilderbuchjahr)

Weinberge des Weingutes Bischel in Appenheim ©schiebezimmer/ Johannes Schiebe

So positiv die Bewertung des Jahrgangs auf der qualitativen Seite ausfällt, lässt die genauere Betrachtung doch erahnen, worauf sich die Winzer schon länger einstellen. Der Klimawandel schreitet voran und betrifft natürlich auch den Weinbau. Ungewöhnlich hohe Temperaturen im Frühjahr führen zu einem vorgezogenen Austrieb, woraus sich eine erhöhte Gefahr für Frostschäden ergibt. Die schauerlichen Bilder aus dem Burgund, wo Winzer und Winzerinnen mit Frostschutzkerzen versuchten, das Schlimmste zu verhindern, stehen mir noch vor Augen. Hinzu kommen immer häufiger auftretende Extremwetterereignisse, wie Stürme und verheerender Hagel. Von den alljährlich brennenden Wäldern spreche ich hier erstmal noch gar nicht.

Die insgesamt steigenden Temperaturen führen, neben den offensichtlichen Katastrophen, auch zu einer Verschiebung der weinbaulichen Alltagsprobleme. Früher kämpften die Winzer und Winzerinnen noch darum, ihre Trauben zu voller Reife zu bringen, sodass ein guter Jahrgang im Wesentlichen durch hohe Mostgewichte ausgezeichnet wurde. Heute geht es eher darum, den richtigen Lesezeitpunkt nicht zu verpassen. Johannes Trautwein fasst es so zusammen:
»Reife ist in Zeiten des Klimawandels in Rheinhessen bei den meisten Sorten eigentlich kein Qualitätsmerkmal mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit.«

Rundgang durch die Weinkellerei Trautwein ©schiebezimmer/ Johannes Schiebe

Als Folge davon hat sich das Verständnis des Begriffs Reife an sich verändert. Mostgewicht ist nur noch ein Faktor von vielen, der auf den angestrebten Weinstil abgestimmt sein sollte. Nahezu genauso wichtig ist aber auch der Säure- und (davon abhängig) der pH-Wert. Außerdem rückt die »aromatische Reife« immer mehr in den Fokus, sprich die Winzer und Winzerinnen vertrauen auf ihre Zunge, ihre Erfahrung und natürlich ihr Bauchgefühl.

Fassprobe im Glas ©schiebezimmer/ Johannes Schiebe

Auch der Ablauf der eigentlichen Lese verändert sich. Christian Runkel startet mit seinem Team mittlerweile in den frühen Morgenstunden in die Handlese, da die Temperaturen in den Mittagsstunden zu hoch und damit die Trauben zu warm sind. Kommen diese so in den Keller, startet die Gärung schnell unkontrolliert, was zu Einbußen im Aroma und unerwünschtem Säureabbau führen kann. Um das zu verhindern, passt man entweder das Timing an oder steckt viel Geld und Energie in Kühlmöglichkeiten.

Generell wurde in den letzten Jahren die Ansäuerung der Weine regelmäßig erlaubt. Allerdings sind solche Maßnahmen immer nur kurativ. Zur langfristigen Vermeidung solcher Probleme müssen die Winzer:innen am Anfang des weinbaulichen Prozesses ansetzen, nämlich bei der
passenden Wahl der Rebsorte, der zugehörigen Unterlage und des Standorts. Auch das Laubwand- und Begrünungsmanagement sollten hinterfragt werden. »Die Installation von Bewässerungstechniken sollte auch unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten lediglich ultima ratio sein« merkt Johannes Trautwein an.

Christian Runkel und ich mitten in den Weinbergen von Appenheim ©schiebezimmer/ Johannes Schiebe

Aber kommen wir zurück zur Ausgangsfrage – Wie war 2020?

Edelstahltank in der Weinkellerei Trautwein ©schiebezimmer / Johannes Schiebe

Rein qualitativ ist es ein guter bis sehr guter Jahrgang. Das sagen nicht nur die Leute, die ihn verkaufen möchten. Auch ich kann es durch meine Verkostungen bei Bischel und Trautwein bestätigen und zusätzlich durch meine täglichen Erfahrungen untermauern.
Es lohnt sich sicherlich auch, bei den Lagenweinen zuzugreifen und diese für ein paar Jahre in den Keller zu legen! Ich habe damit bei Bischel auf jeden Fall schon mal angefangen…

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