Wer einen rheinhessischen Wein verkosten möchte, kann dies mittlerweile auch ganz entspannt online in den eigenen vier Wänden machen. Während der Pandemie aus der Not heraus geboren, hat sich die virtuelle Weinprobe inzwischen zum festen und wohl auch nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil im Angebot vieler Winzer aus der Region gemausert.
Online-Weinproben in Rheinhessen entwickeln sich zum nachgefragten Angebot
Aktuell dürfen wir uns hier in Rheinhessen dank sinkender Corona-Zahlen über erste Lockerungen freuen. Das heißt: auch viele Vinotheken haben ihre Außengastronomie bereits wieder geöffnet und schenken ihren Wein ab sofort vor Ort an die Gäste aus. In den vergangenen Monaten war dies aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht möglich, sodass viele heimische Winzer ihre Weinproben ins Internet verlagert haben. Mich interessiert, wie sich die pandemiebedingte Notlösung zum nachgefragten digitalen Angebot entwickelt hat.
Vinotheken werden zu „Studios“ für das Weinpublikum
Die Pandemie hat so einige rheinhessische Winzer zu Experten vor der Kamera gemacht: In digitalen Verkostungen entführen sie seit nun mehr über einem Jahr regelmäßig ihre Kunden vor dem heimischen Laptop oder Tablet in die Welt des Weins. Die Vinothek oder der Weinkeller verwandelt sich zum „Studio“ mit ziemlich großem Publikum: Anders als bei den Weinproben im Weingut vor Ort, ist die Zahl der Teilnehmer für eine Online-Weinprobe praktisch unbegrenzt. Damit die Veranstaltung auch lebendig bleibt, greifen viele Winzer auf Video-Technik mit Chatfunktion zurück. So können die Teilnehmer während des Tastings auch Fragen stellen oder sich untereinander austauschen. Die Kosten für eine rheinhessische Online-Weinprobe liegen meist zwischen ungefähr 40 bis 60 Euro.
Die Online-Weinproben bieten ein abwechslungsreiches Programm
Auch inhaltlich lassen sich die Winzer für ihre digitalen Weinproben so einiges einfallen. Der Blick auf die vielen angebotenen Online-Aktionen der rheinhessischen Weingüter zeigt: Neben unterschiedlichen Themenschwerpunkten, gibt es zum Beispiel Kooperationen mit Restaurants, mit Musikveranstaltungen oder Kabarettinszenierungen. Viele Verkostungen geben zudem durch zusätzlich eingespielte Videos einen tieferen Einblick hinter die Kulissen des Weinanbaus. So manch eine Verkostung wird sogar von einer Weinkönigin moderiert.
Auch kulinarisch lassen sich die Winzer so einiges einfallen. Begleitend zum Wein werden zum Beispiel passende Käsesorten oder auch Schokoladen angeboten. Weinliebhaber bestellen sich ihr gewünschtes Paket einfach nach Hause und loggen sich dann zu Beginn der Weinprobe über einen vom Winzer vorab zugesandten Link in das jeweilige Online-Tasting ein. Neben den digitalen Verkostungen bieten viele Weingüter auch Probierpakete für zuhause in ihren Online-Shops an.
Weinprobe-Paket für zuhause mit verschiedenen Weinen und Informationen zum Weingut
Nachgefragt beim Essenheimer Winzer Stefan Braunewell
Ich bin neugierig und möchte wissen, wie es sich als Winzer anfühlt, aufgrund äußerer Gegebenheiten so schnell zum „digitalen Experten“ zu werden und die Herausforderungen der Pandemie zu meistern. Um das herauszufinden, spreche ich mit einem Winzer aus der Region. Ich treffe Stefan Braunewell auf seinem Weingut in Essenheim. Der 39-Jährige führt den Viergenerationenbetrieb auf dem Römerberg mit seinem Bruder Christian und der ganzen Familie. Sein Weingut bietet bereits seit dem ersten Lockdown Online-Verkostungen an. Schon beim Hereinkommen in die Vinothek fällt auf: Auf der angrenzenden Terrasse sitzen endlich wieder Gäste.
Stefan und Christian Braunewell mit Lara Lambrich vor der Terrasse der neuen Vinothek
„Bis heute ist die Nachfrage nach Online-Verkostungen sehr groß“
Nach einem halben Jahr trockener Vinothek ist es wieder
möglich hier vor Ort auf dem Weingut zu verkosten.
Stefan: Ja! Man kann jetzt wie früher einfach vorbeikommen und braucht keinen Test mehr. Unsere Kunden scannen sich einfach über die Luca-App ein und können in unserem neuen Außenbereich Wein trinken.
Das war in den vergangenen Monaten aufgrund der hohen Corona-Zahlen nicht möglich. Die Branche ist auf Online-Weinproben umgesattelt. Wie kamt ihr auf die Idee mit den Kunden online zu verkosten?
Stefan: Da muss
ich kurz ein wenig ausholen. Wir sind Teil der „Hauptsache
Wein“ Facebook-Community um Dirk
Würz. Dirk ist Geschäftsführer des Niersteiner Weinguts St. Antony und bloggt seit Jahren rund um das
Thema Wein. Direkt zu Beginn des ersten Lockdowns hat er die virtuelle Weinbar
„Dieter die Weinbar“ ins Leben gerufen. Die Idee war, Weine verschiedener
Winzer gemeinsam via Zoom zu testen. Wir fanden das toll, haben mitgemacht und
ein Paket bestellt. Später haben wir dann selbst einen Wein für die Probe in
Dieters Weinbar beigesteuert und schließlich haben wir uns überlegt, so etwas
auch selbst für unser Weingut anzubieten. Inzwischen sind beide
Online-Proben eine „Institution“ in der Weinbranche.
Diese Anekdote zeigt wie wichtig Netzwerke sind – gerade
in so besonderen schwierigen Zeiten wie mit Corona.
Das stimmt. Ich selbst bin Teil mehrerer Netzwerke, u.a. auch beim Zusammenschluss Maxime Herkunft Rheinhessen als Vorstand. Der Austausch untereinander hilft sehr. Gerade zu Beginn der Pandemie war das auch deutlich zu beobachten. Wir haben viel untereinander gesprochen und auch ausgeholfen. Es gab Winzer, die hatten plötzlich große Einbußen, weil sie sich vor allem auf den Abverkauf bei Messen und in der Gastronomie spezialisiert haben und das alles so plötzlich wegbrach. Bei anderen Winzern, die ihr Hauptgeschäft im Lebensmittelhandel machen, stieg dagegen die Nachfrage rasant an.
Wie war das bei euch?
Wir machen etwa 40 Prozent unseres Umsatzes durch den Direktverkauf
ab Weingut. Zehn Prozent fließen in den Export, der Rest geht in den Fachhandel
und darüber in die Gastronomie. Während der Pandemie haben wir viel mehr Wein
hier vor Ort in Essenheim an die Privatkunden verkauft. Der – wenn auch
kontaktlose – Kontakt mit den Kunden war auch während des Lockdowns ganz
wichtig für uns.
Welche Rolle haben die Online-Verkostungen dabei
gespielt?
Eine sehr wichtige. Wir sind schon Mitte April 2020 erstmals
mit der Veranstaltung „Bergfest“ online gegangenen und hatten gleich zu Beginn
95 Anmeldungen. Bis heute ist die Nachfrage bei den Kunden nach unseren
Online-Weinproben sehr groß. Gerade auch
bei denen, die weiter weg wohnen oder bei Firmen, die keine Events mehr vor Ort
anbieten wollen. Wir werden daher für den Rest des Jahres weitere
Online-Weinproben anbieten.
Das heißt: Auch wenn die Pandemie irgendwann endlich mal
zu Ende sein sollte, ihr fahrt dann weiter zweigleisig und bietet regelmäßig
Weinverkostungen online an?
Ja, das ist der Plan. Unsere nächste virtuelle Verkostung steht unter dem Thema „Sommerhelden“ und findet am Freitag, dem 18 Juni statt. Das „Bergfest“ haben wir über die Sommermonate vom Internet auf den Römerberg verlegt. Es soll – sofern es die Corona-Zahlen und das Wetter zulassen – ganz analog hier in unserem neuen Außenbereich stattfinden. Start ist der 16. Juni. Wie es dann ab Herbst weitergeht, wird sich zeigen. Wir können uns auch sehr gut vorstellen, in den kälteren Monaten, wenn sich alles nach drinnen verlagert, wieder mehr Veranstaltungen über das Internet zu machen.
Es gibt auf jeden Fall weiterhin viel zu probieren!
Stefan: Ja
auf jeden Fall (lacht).
Einblick in die neue Vinothek des Weingutes Braunewell
Eine sehr gute Idee den Winzern zu helfen! Durch den Ausfall der Gastronomie konnte wenigstens ein Teil des Absatzes wieder aufgeholt werden und es macht auch mal Spaß die guten Weine mit Erklärungen in Ruhe zu Hause zu genießen.
Hallo Erwin Malkmus, vielen Dank für das Feedback. Ja, da gebe ich Ihnen Recht - So eine Weinprobe in den eigenen vier Wänden muss man erlebt haben :-D
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