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14. Juli 2021

Ich werde in Ewigkeit keinen Buchstaben widerrufen

2021 jährt sich zum 500. Mal die Erinnerung an den Wormser Reichstag in 1521. Die Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021“ nimmt das Jubiläum der Widerrufsverweigerung Martin Luthers auf dem Wormser Reichstag zum Anlass, vom 03. Juli bis 30. Dezember 2021 die Entwicklungsgeschichte der „Gewissensfreiheit und des Protests“ anhand zahlreicher Beispiele bis in unsere Gegenwart aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen.

Im Jubiläumsjahr „Luther 1521“ stellt die rheinland-pfälzische Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021“ vom 3. Juli bis 31. Dezember 2021 im Wormser Museum Andreasstift die Gewissensfrage vom Mittelalter bis in die Gegenwart.

Weltruhm und Zufall

Dass der Reichstag in Worms stattfand, verdankt die Stadt einer Pandemie. Die Goldene Bulle, das Grundgesetz im Heiligen Römischen Reich, schrieb seit 1356 vor, dass der erste Hoftag eines neuen Kaisers in Nürnberg abzuhalten sei. So hatte es der junge Kaiser Karl V. auch geplant, aber in Nürnberg versetzte 1521 die Pest alle in Angst und Schrecken. So war es ein historischer Zufall, dass Worms zum Schauplatz der Reformationsgeschichte und zu einer der wichtigsten Lutherstätten in Deutschland avancierte. Dass des Kaisers Wahl auf Worms fiel, war allerdings kein Zufall. Die Stadt war im Mittelalter bekannt für ihr Organisationstalent für solche Großereignisse. Immerhin reisten bis zu 140.00 Gäste an.

1:4-Nachbau des mittelalterlichen Kobelwagens, mit dem Luther nach Worms reiste

Luthers Reise im Kobelwagen

Als Dr. Olaf Mückain, Kurator der Landesausstellung und Leiter des Wormser Museums Andreasstift, auf der Wartburg in Eisenach den originalen Nachbau des mittelalterlichen Reisewagens sah, mit dem Luther aller Wahrscheinlichkeit reiste, war klar, dass so ein Gefährt auch in Worms zu sehen sein muss. Im Maßstab 1:4 und zum Teil aus 500-jähriger Eiche gefertigt, ist der Kobelwagen nun eines der spektakulärsten Exponate und wird auch nach der Ausstellung im Museum zu sehen sein.

Nordportal des Andreasstifts in Worms – und Eingang in die Landesausstellung

Der Luthermoment

Die Besucher der Landesausstellung betreten das Andreasstift durch das Nordportal am Weckerlingsplatz und begleiten Luther auf dem Rundgang in der Kirche vom Tag seiner Ankunft in Worms bis zu seiner Abreise. In der Ausstellung sind neben Lutherschriften viele Leihgaben anderer Museen und Archive zu sehen. Dazu gehören zum Beispiel Luthers Schreibset, seine Aufzeichnungen zum Verhör in Worms, Gemälde und die Kopie der Reichskleinodien des Kaisers. Gleich zu Beginn fällt der berühmte Satz ins Auge, den Luther am Abend des 17. April 1521 an den Wiener Anwalt Johannes Cuspinian schrieb: „Ich werde mit dem gnädigen Beistand Christi in Ewigkeit keinen Buchstaben widerrufen.“ Diese Nacht gewährte ihm der Kaiser, um seine Entscheidung zu überdenken. Sie wird seither als der Luthermoment bezeichnet.

Lutherzitat in der Landesausstellung im Wormser Museum Andreasstift

Junger Kaiser unter Druck

Papst Leo X. hatte über Martin Luther den Kirchenbann verhängt. Damit die weltlichen Autoritäten gegen den Reformator einschreiten konnten, musste der Kaiser auch die Reichsacht aussprechen. Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, hatte sich dafür eingesetzt, dass Martin Luther vor dem Reichstag gehört werde. Aber der erwartete Diskurs fand nicht statt. Karl der V., der damals kaum ein Wort Deutsch verstand, stellte den Reformator lediglich vor die Wahl abzuschwören oder die Reichsacht in Kauf zu nehmen, die drei Wochen später mit dem Wormser Edikt wirksam wurde. Aber da war Luther längst unter dem Decknamen Junker Jörg in Sicherheit auf der Wartburg in Eisenach und übersetzte die Bibel ins Deutsche. Friedrich der Weise überzeugte währenddessen Karl V., dass die über Luther ausgesprochene Reichsacht nicht für sein Kurfürstentum Sachsen galt.

Kopie der Reichskleinodien Kaiser Karls V.

Bogen bis in die Gegenwart

Dr. Olaf Mückain, Kurator der Ausstellung und Leiter des Wormser Museums im Andreasstift

Martin Luther steht nicht allein im Fokus der Ausstellung. Museumsleiter und Kurator der Ausstellung, Dr. Olaf Mückain, spannt den Bogen viel weiter: „Wir nehmen in den Blick, wie sich Gewissensfreiheit bis heute entwickelt und verändert hat.“ An zwölf weiteren Stationen folgt die Ausstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit Menschen, die ihren Überzeugungen um Freiheit, Gleichberechtigung und Bürgerrechte treu blieben, dafür ins Gefängnis gingen oder nicht selten ermordet wurden: Moses Mendelssohn, Olympe de Gouges, Georg Büchner, Sophie Scholl, Martin Luther King, Nelson Mandela, Christian Führer, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, und viele andere. Olaf Mückain ist es gelungen, viele interessante Leihgaben für die Ausstellung zusammenzutragen: „Besonders freue ich mich über die Leihgaben der Weiße Rose Stiftung e.V. München, zum Beispiel das blaue Tanzkleid von Sophie Scholl, die uns in der Ausstellung besonders am Herzen liegt.“

Premiere für Andreasstift

Mit der Eröffnung der Landesausstellung zeigt sich das Museum im 1000 Jahre alten Andreasstift nach mehrjährigen Baumaßnahmen zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Die beiden neuen Kreuzgangflügel, der Weiße Saal und neue Ausstellungsflächen bieten mehr Platz und sind mit neuer Licht- und Klimaanlage sowie jeder Menge Technik modern und bestens ausgerüstet. Ulrike Breitwieser, Verwaltungsleiterin des Museums, ist mit Recht stolz auf das Ergebnis: „Wir haben jetzt Räumlichkeiten mit denen wir für die Zukunft sehr gut aufgestellt sind. Auch wertvolle Ausstellungsstücke können nun sicher präsentiert werden. Der Kreuzhof ist ein Ort der Stille und Ruhe, der sich aber auch in eine Bühne für Veranstaltungen und Theater verwandeln kann.“

Kreuzhof im Wormser Andreasstift mit den beiden neuen Kreuzgangflügeln

Lutherweg und Luthers Schuhe

Auch das im April 2021 eröffnete Jubiläumsjahr ist von einer Pandemie überschattet. Geplante Veranstaltungen konnten nicht oder nur virtuell stattfinden, einige wurden in den Herbst verschoben. Um so erfreulicher ist es, dass die mit großem Aufwand vorbereitete Landesausstellung stattfinden kann. Auch die Gästeführer freuen sich, den Besuchern ihre Stadt und im Jubiläumsjahr vor allem die Plätze, die sich mit Martin Luther verbinden, zeigen zu können. Eine von ihnen ist Sandra Wilhelm. In Worms aufgewachsen und als Mitglied des Kirchenvorstandes der Evangelischen Luthergemeinde kennt sie sich bestens mit dem Thema „Luther“ aus. Ihre Gäste sind Menschen jeden Alters und jeder Weltanschauung. Für sie ist das gleichermaßen Herausforderung und Gewinn, besonders im Lutherjahr, von dem sie sagt: „Luther hat gezeigt, dass es möglich ist, seinen eigenen Weg zu gehen und damit viele Menschen ermutigt. Das ist noch wichtiger als das Jubiläum selbst. Und es betraf nicht nur Männer, sondern auch Frauen, denen in den Lateinschulen in jener Zeit zum ersten Mal auch die Tür zu mehr Bildung geöffnet wurde.“

Wormser Gästeführerin Sandra Wilhelm in Luthers Schuhen im Heylshofpark

Wer sich nach dem Besuch der Ausstellung selbst die eine oder andere Gewissensfrage stellen will, steigt im Bischofshof, heute Heylshofpark, in Luthers übergroße Bronzeschuhe (Größe 73). Der Heylshofpark ist auch das Freiluft-Foyer der Nibelungenfestspiele, die vom 16. Juli bis 1. August 2021 den Fall „Luther“ als spannende Staatsaffäre zwischen Machtintrige und Religionskampf aufführen. Die kostenlos im AppStore und Google Play Store erhältliche AR-App „Worms erleben“ begleitet den Wormser Luther-Rundgang an fünf Orte der Innenstadt, die sich mit dem Namen des Reformators verbinden: Lutherdenkmal (das größte der Welt), Johanniterhof, Bischofshof / Heylshofpark, Dreifaltigkeitskirche und Magnuskirche.

Lutherdenkmal in Worms

Luther im Dom

Im Dom hatte Luther als Exkommunizierter natürlich Hausverbot. Wer heute auf den Spuren Luthers unterwegs ist, muss auch einen Blick in den Dom werfen. In dem 1992 vom Glasmaler Heinz Hindorf geschaffenen prächtig bunten Fenster in der Georgskapelle, das in 20 Szenen die Wormser Bistumsgeschichte darstellt, ist auch Martin Luther zu entdecken. Er hat es also doch noch in den Dom geschafft.

Luther im Geschichtsfenster der Georgskapelle im Wormser Dom

Die Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021“ im Museum der Stadt Worms Andreasstift, Weckerlingsplatz 7, 67547 Worms, hat vom 3. Juli bis 30. Dezember Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen (außer 24. / 25.Dezember) von 10 bis 18 Uhr sowie am 27. Dezember geöffnet. Der Eintritt kostet für Erwachsene 9 Euro und für Kinder ab 12 Jahren 5 Euro. Zurzeit ist wegen der Corona-Pandemie eine Voranmeldung über das Buchungsportal notwendig.

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