9. August 2023
9. August 2023
Sie ist die faszinierendste Frau des Mittelalters: Hildegard von Bingen war eine vielfältig interessierte Äbtissin. Bekannt ist sie vor allem für ihre theologischen Schriften und Visionen sowie ihr Wissen um Heilpflanzen. Ihre einstige Wirkungsstätte, das Kloster Rupertsberg in Bingen, wurde mithilfe eines multimodalen Fahrstuhls wieder zum Leben erweckt. Mit Dr. Matthias Schmandt, Museumsleiter des Museums am Strom, begebe ich mich auf Spurensuche.
Wo heute die Villa Rupertsberg gut versteckt in einem Innenhof steht, befand sich im 12. Jahrhundert das von Hildegard gegründete Kloster Rupertsberg. Nur fünf Arkaden überdauerten Krieg, Zerstörung und Umbau. Jahrelang befand sich das Gebäude in Privatbesitz; die Arkaden wurden einfach zugemauert. Nun sind die letzten Relikte des ehemaligen Klosters wieder freigelegt worden. „Hier hat Hildegard gelebt und gewirkt. Hier wird sie endlich für alle greifbar“ erzählt Museumsdirektor Dr. Schmandt.
Seit Mai 2023 ist die Villa Rupertsberg für Besucher geöffnet. Beim Betreten des Gebäudes wird mein Blick direkt auf die aufwendig gestalteten Wandtapeten gelenkt. Ich habe das Gefühl, als ob ich von einer Empore hinab in den Altarraum schaue. Tatsächlich lag der Altarraum damals einige Meter tiefer. In das Gebäude ist außerdem das Stadtarchiv gezogen mit Leseecke und einer kleinen Ausstellung zur Geschichte des Rupertsbergs. Das Highlight ist aber ein ganz besonderer Raum, der das Kloster zum Leben erweckt: Der Fahrstuhl in die Vergangenheit.
Ich betrete den dunklen Raum, indem fröhliche Fahrstuhlmusik vor sich hin dudelt. Wählt man auf einem kleinen Touchscreen „Start“ aus, geht es auch schon los. Innerhalb von wenigen Sekunden reise ich 900 Jahre zurück in die Vergangenheit, natürlich nur virtuell. Auf insgesamt drei Bildschirmen, die wie Fenster aussehen, fahren Betonwände an einem vorbei und der Besucher findet sich plötzlich im südlichen Seitenschiff der Kirche wieder. Ruhige Kirchengesänge erfüllen den Raum. Ich weiß gar nicht, auf welchen der Bildschirme ich zuerst schauen soll. Ich versuche alle drei Bildschirme im Blick zu haben, merke aber schnell, dass das nicht funktioniert. Also konzentriere ich mich abwechselnd auf ein Fenster. Die Visualisierung in Kombination mit der Musik wirkt so echt, dass ich das Gefühl habe, tatsächlich in einer Kirche zu stehen.
Es gibt so viel zu entdecken: Egal, ob der Blick vom Kirchturm oder der Gang durch das Kirchenschiff: Hier wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet. Aber woher weiß man denn, wie das Kloster aussah? „Genau wissen wir es natürlich nicht. Wir haben uns aber von ähnlichen Bauwerken inspirieren lassen, wie dem Fußboden der Klosterkirche in Sponheim“, erklärt Dr. Schmandt. Wichtig sei ihm vor allem eines: Gutes Storytelling, das gut erforscht ist. Besonders hat es mir der Klostergarten angetan. Wer genau hinschaut, erkennt die ein oder andere Heilpflanze, die auch im Kräutergarten rund um die Villa wächst. Auf die Frage, ob auch er eine Lieblingsstation hat, kann der Museumsdirektor sogar zwei nennen: „Den Blick tief in die Kirche und den Vorplatz, auf dem das profane Leben stattfand, finde ich sehr gelungen.“
Eine Reise mit dem Fahrtsuhl dauert etwa 15 Minuten, je nachdem, wie viel Zeit man sich für die einzelnen Stationen nimmt. Fünf bis sechs Personen passen bequem hinein. Besonders gut gefällt mir an dem Rundgang, dass die Stationen nach Belieben ausgewählt und wiederholt werden können. Finanziert wurde das Projekt unter anderem im Rahmen des EU-Förderprogramms LEADER. Übrigens ist der Fahrstuhl in die Vergangenheit auch für den Tourismuspreis Rheinland-Pfalz 2023 in der Kategorie Projekt des Jahres nominiert. Ich drücke ganz fest die Daumen!
Wer mehr über die Heilige Hildegard erfahren will, sollte auch dem Museum am Strom einen Besuch abstatten. Vom Binger Hauptbahnhof erreicht man in nur wenigen Gehminuten das Museum direkt am Rheinufer. Für Gruppen bis zu 25 Personen wird eine Kombiführung angeboten, die zuerst durch die Ausstellung im Museum am Strom und anschließend in den Fahrstuhl führt. Auf Wunsch ist auch ein Bustransfer möglich. Ideal für diejenigen, die nicht ganz so gut zu Fuß sind. Wer nur den Fahrstuhl in die Vergangenheit nutzen will, ist mit 2 Euro dabei. Die Villa Rupertsberg ist montags und mittwochs von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 14 bis 17 Uhr (nur Klosterarkaden) geöffnet. An Feiertagen ist die Villa geschlossen. Weitere Informationen gibt es unter www.bingen.de/hildegard-kloster.
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