Bier in Rheinhessen? So ungewöhnlich wie sich das im ersten Moment vielleicht anhört, so gewöhnlich war der tagtägliche Konsum von Bier in früheren Zeiten in jeder Stadt und in fast jedem Dorf. Doch das ist nur eine von vielen bemerkenswerten Geschichten, die wir heute erfahren werden.
Rheinhessen ist Deutschlands größtes Weinanbaugebiet und Rheinhessens Winzer bringen jedes Jahr viele preisgekrönte Tropfen hervor. Schon die Römer nutzten vor vielen tausend Jahren das besondere Terroir der Region für ihren Weinanbau. Doch nicht nur der Wein hat in Rheinhessen Tradition. In Alzey können Neugierige im Rahmen einer besonderen Erlebnisführung auf den Spuren der alten Bierbraukunst der Stadt wandeln.
In Roihesse babbelt man Dialekt
Schon von Weitem sehen wir unseren heutigen Experten, der uns durch die Biergeschichte von Alzey führen wird. Im Gewand eines mittelalterlichen Nachtwächters mit Hellebarde und Füllhorn steht Marco Fitting bereits vor dem historischen Rathaus der Stadt aus dem Jahr 1587 und erwartet unsere Ankunft. Er begrüßt uns voller Überschwang auf „roihessisch“ und wir merken bereits, da brennt jemand für seine Aufgabe. „In Roihesse babbelt man Dialekt!“, gibt uns Fitting zu verstehen. Daher wird auch die Führung generell in Mundart angeboten – eben authentisch und kein Blatt vor den Mund nehmend, wie sich im späteren Verlauf noch herausstellen wird.
Marco Fitting als mittelalterlicher Nachtwächter
Das Rathaus diente in Frühzeiten auch als Gericht und
Anlaufstelle für Markthändler. Die Alzeyer Doppelelle am Eingang des Rathauses
ist als Standardmaß und Zeitzeuge immer noch zu bewundern. Zudem führte man im
Rathaus über jeden Brauer Buch. Das war damals wichtig, denn schließlich wurde
bereits im Jahr 1516 das Reinheitsgebot erlassen, das es einzuhalten und zu
überwachen galt. Trotzdem versuchten einige Brauer immer wieder, sich mit üblen
Tricks einen Vorteil zu verschaffen. Mal wurde Heu beigemischt, mal wurde das
Bier mit Ochsengalle gestreckt. Wenn Schwindler aufflogen, wurden die
kompletten vollen Bierfässer vernichtet, indem man ihnen den Boden ausschlug.
Das heute noch bekannte Sprichwort „Das schlägt dem Fass den Boden
aus!“ stammt von dieser „Amtshandlung“.
Zu Hochzeiten 14 Brauereien in Alzey
Auf unserem Weg zum Rossmarkt erfahren wir, dass die erste
Brauerei in Alzey im Jahre 1575 urkundlich erwähnt wurde. Zu Hochzeiten im 17.
Jahrhundert gab es in Alzey 14 Brauereien und eine große Anzahl Mälzereien,
denn Bier war extrem wichtig für die aufstrebende Stadt. Alzey war schon damals
Verwaltungssitz, wodurch viele Menschen aus den umliegenden Dörfern für
Erledigungen in die Stadt kamen. Meist hatten sie eine lange Tagesreise hinter
sich und kamen in einem der vielen Gasthäuser unter. Bier wurde damals als
Grundnahrungsmittel schon morgens getrunken – auch von Kindern. Allerdings
hatte dieses Bier mit dem, was wir heute kennen, nicht viel gemeinsam. Es war
sehr dünn und viel weniger alkoholhaltig, versorgte aber die Menschen mit
wichtigen Nährstoffen und war – anders als Brunnenwasser – nicht
krankheitserregend, da durch den Brauprozess alle Keime und Bakterien abgetötet
wurden. Erst am Abend genehmigte man sich zur damaligen Zeit ein ordentliches
und gehaltvolles Schankbier, das wir auch heutzutage noch als Bier bezeichnen.
Rossmarkt in Alzey
Der Rossmarkt ist eines der Wahrzeichen von Alzey. Dies hat er vor allem der imposanten Brunnenskulptur zu verdanken, die auf die Geschichte des Platzes hinweist und gleichzeitig auch das Ross des Spielmanns und Ritters Volker von Alzey aus der Nibelungensage darstellen soll. Entworfen vom Neustädter Künstler Professor Gernot Rumpf, ist das Pferd (genannt „Max“) gerade im Sommer ein beliebter Tummelplatz für Kinder, die sich in den Sattel schwingen und durch das Wasserspiel toben. Aufmerksame Beobachter werden am Brunnenrand eine kleine Maus entdecken. Sie ist die Signatur des Künstlers und auf allen seinen Werken verewigt. Wie der Name des Rossmarktbrunnens schon verrät, waren hier zu frühen Zeiten der Vieh- sowie der zentrale Markt Alzeys beheimatet. Auch in der sich am Rossmarkt befindlichen Rheinhessen-Vinothek muss im Mittelter bereits eine Weinwirtschaft ihre Pforten geöffnet haben, was noch durch die alten Rebenverzierungen im Fachwerk des Hauses zu erkennen ist.
Überhaupt sollten sich Besucher in Alzey die vielen
Fachwerkhäuser der Stadt einmal genauer anschauen. In vielen Häusern kann man
im Gebälk kleine (oftmals weiße) Herzen erkennen. Was im ersten Moment auf
einen sehr verliebten Zimmermann schließen lässt, ist nichts anderes als eine
Art frühzeitliches „Branding“ bzw. das Markenzeichen eines Handwerksbetriebs
der damaligen Zeit, auf das man auch an vielen anderen Fachwerkhäusern in der
Umgebung von Alzey trifft.
Niedergang Alzeys als Bierstadt
Wir gehen weiter zum ehemaligen Brauereigasthof Neidlinger,
einst eine der beiden größten Brauereien Alzeys. Auch hier stehen wir vor einem
historischen Zeugnis des Niedergangs Alzey als Bierstadt und wir fragen unseren
Begleiter, warum fast alle Brauereien in Alzey schließen mussten. „Das lag
vor allem am Rohstoffmangel“, weiß Marco Fitting zu erzählen, „denn
neben schlechten Getreideernten trug vor allem die Wasserknappheit in Alzey
dazu bei, dass die Brauereien entweder raus aus der Stadt ans Wasser zogen oder
aber ganz den Betrieb einstellen mussten.“
Auf dem Weg zum „Hotel am Schloss“ bleiben wir
kurz am ältesten Gasthaus Alzeys stehen. Die Inschrift des wunderschönen
Fachwerkhauses datiert aus dem Jahr 1579. „Es gibt dort auch heute noch zu
essen und zu trinken, aber nur noch auf Rezept!“, scherzt Fitting und
nimmt Bezug auf die Tagesklinik, die hier nun eingezogen ist.
Mit dem Blick auf das „Hotel am Schloss“ verkündet
uns unser Stadtführer nun eine weitere Besonderheit Alzeys. Während der
U21-Europameisterschaft in Deutschland im Jahr 2004 war hier während der Vorrundenspiele
in Mainz die junge Mannschaft des DFB untergebracht. Newcomer wie
Schweinsteiger und Podolski genossen die besondere Alzeyer Gastfreundschaft.
Für den Lokalpatrioten Fitting ist damit klar, wo der Grundstein für den
späteren Gewinn der Fußball-WM 2014 geschaffen wurde.
Wir gehen weiter durch eines der vielen Stadttore von Alzey
und wechseln vom Stadt- in den Schlossbezirk. Am Stadttor ist an einer alten
Eisenrolle noch gut erkennbar, dass hier früher eine Zugbrücke den Eintritt zur
Stadt geschützt hat. Auch der Graben und der Zwinger sind noch erhalten. Am
Schlosskeller, den wir passieren, fällt uns ein ungewöhnliches Zeichen an der
Fassade auf. Wir erkennen die Konturen eines Messers, doch was es mit diesem
Symbol auf sich hat, kann keiner mehr genau sagen. War hier früher ein Metzger
oder gar ein Richtplatz? „Das Messer sieht allerdings nicht allzu scharf
aus, oder? Vielleicht hat man hier früher auch einfach nur Brote
geschmiert“, bringt unser mittelalterlicher Begleiter eine weitere
Variante ins Spiel.
Auf dem Weg zum Alzeyer Stadttor
Bierprobe im Alzeyer Schloss
Das beeindruckende Alzeyer Schloss, das wir nun betreten, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Ursprünglich wohl zur Stauffer-Zeit (ab 1125) erbaut, wurde es in den Wirren des Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 komplett zerstört und fiel dann bis zum Neuaufbau im Jahr 1903 in einen regelrechten Dornröschenschlaf. Heute befinden sich in den Mauern das Amtsgericht und das Mädcheninternat des Kunstgymnasiums. Während der Ferien, am ersten Wochenende im August, ist das Alzeyer Schloss jährlich Austragungsort des „Da Capo Festivals“, das mit seiner Mischung aus Comedy, Popmusik und Klassik zu einem wahren Aushängeschild Alzeys geworden ist.
Alzeyer Schloss
Unter der alten Inschrift „Großherzogliches
Amtsgericht“, die noch aus der Zeit der Zugehörigkeit des Schlosses zum
Großherzogtum Hessen stammt, wird es nun Zeit für unsere erste Bierprobe. Unser
Nachtwächter verschwindet kurz hinter den dicken Schlossmauern und schenkt uns
sodann einen erfrischenden Schluck Alzeyer Volker-Bräu in eigens gestaltete
0,1l-Probiergläschen ein, die wir für die weitere Tour und auch darüber hinaus
behalten dürfen.
Die Marke „Volker-Bräu“, benannt nach Volker von Alzey aus dem Nibelungenlied, entstand ursprünglich 1915 durch den Zusammenschluss als „Genossenschaftsbrauerei Rheinhessischer Wirte“ der damals in Alzey größten Brauereien Kleinknecht und Neidlinger. Nach der Übernahme durch die Eichbaum Brauerei in Worms verschwand erst die Marke und dann auch die letzte große Brauerei 1935 in Alzey. Erst im Jahr 2006 begann Diplom-Braumeister Dieter Birk in Alzey wieder Bier unter dem Markennamen „Volker-Bräu“ zu brauen. Die kleine Brauerei in der Albiger Straße ist damit heute die einzige wieder existierende in Alzey und bietet Bierliebhabern verschiedene saisonale Spezialitäten an, die man auch vor Ort verkosten und erwerben kann.
Zeugnisse der Brauerzunft in Alzey
So gestärkt verlassen wir das Schloss und gehen vorbei an
der ehemaligen „12 Apostel Brauerei“, in deren Tanzsaal viele Alzeyer
das Tanzen erlernt haben. Dunkle Pflastersteine am Boden lassen den
mittelalterlichen Verlauf der Stadtmauer erahnen. Wir befinden uns auf der
Kaiserstraße. Eine Gedenktafel im Boden erinnert an das ehemalige St.
Georgentor, welches hier den Zugang zur Stadt kontrollierte und durch Napoleon
im Jahr 1807 abgerissen wurde. „Als das St. Georgentor noch intakt war,
hatte der Wirt des damals vor den Stadtmauern ansässigen Brauereigasthofs den
Schlüssel zum Tor. So kam es durchaus mal vor, dass das Tor bereits schon früh
am Abend abgeschlossen war und ankommende Besucher der Stadt im Gasthof auf den
nächsten Morgen warten mussten.“, beschreibt unser Begleiter seinen
geschäftstüchtigen Mitbürger aus grauer Vorzeit.
Weiter geht es vorbei am ehemaligen Eiskeller der Brauerei
„Zur Kette“. Dort kann man an der Fassade den „Zoiglstern“,
das alte Zunftzeichen der Brauer, noch gut erkennen. Das Hexagramm symbolisiert
mit seinen sechs Zacken die wichtigsten Grundlagen des Brauwesens: Feuer,
Wasser und Luft als wichtige Elemente sowie Hopfen, Wasser und Malz für die
Grundzutaten.
Fassade mit „Zoiglstern“
Und schon wird es Zeit für unsere zweite Bierprobe.
Angekommen an der Stadtmauer mit Blick auf den früheren Eiskeller der
Prinz-Emil-Brauerei zücken wir unsere kleinen Gläschen und aus dem
improvisierten Depot zaubert unser Bierexperte eine kühle Flasche Volker-Bräu
Bockbier hervor. Süßlich, süffig und mit etwas mehr Alkohol als normales Bier
genießen wir die kleine Erfrischung und stärken uns für den letzten Teil der
Führung.
Entlang der stillgelegten Prinz-Emil-Brauerei, einst die
größte Brauerei Alzeys, blicken wir auf das Gelände der ebenfalls geschlossenen
Bavaria Brauerei. Ein wiederentdeckter unterirdischer Tunnel zur Selz sorgte
hier einst für die wichtige Wasserversorgung, der auch die Stadtmühle mit
Wasserenergie versorgte.
Rue de
Arschkerb – où est-ce?
Durch die engen, verwinkelten Gassen Alzeys, von den
Einheimischen liebevoll „Reilchen“ genannt als phonetisches
Überbleibsel der „Ruelle“ (frz. für „Gasse“) unter der
französischen Besetzung Rheinhessens, nehmen wir eine kleine Abkürzung. Wir
enden in der „Arschkerb“, wie unser Begleiter anmerkt, als wir an
einer Stelle wieder die enge Gasse verlassen, deren Ausgang zwei große Gebäude
links und rechts säumen und so die anatomische Bezeichnung verdeutlichen.
„Der Begriff ist übrigens keine Erfindung von mir!“, räumt Marco
Fitting ein, „in alten Alzeyer Amtsschriften findet man die Ortsangabe ‚Rue
de Arschkerb‘. Das passiert halt, wenn der rheinhessische Dialekt auf die
damalige französische Amtssprache trifft!“, schmunzelt er.
„Denkmalschützer“
Wir passieren den vermuteten Standort des mittelalterlichen Antoniter-Tors und blicken nun vom „Denkmalschützer“, einer Bronzefigur als Sinnbild für den Altstadtverein, hinüber auf das ehemalige städtische Hospital, das wegen der immerwährenden Seuchengefahr im Mittelalter 1580 außerhalb der Stadtmauern errichtet wurde. Seit 1906 befindet sich darin das Museum der Stadt Alzey. Den Sammlungs- und Ausstellungsschwerpunkt des Museums bildet die Kultur- und Naturgeschichte des inneren Rheinhessens. Besucher können neben urzeitlichen Funden wie Haifischzähnen, dem Skelett der Seekuh „Elsa“ oder der Meeresschnecke „Cerithium Weinheimense“ auch die Vor- und Frühgeschichte Rheinhessens sowie die Stadt- und Regionalgeschichte erkunden.
Sommer, Sonne, Weizenbier
Aus dem Museumsgebäude holt unser Bierführer nun die dritte
und letzte Bierprobe, die wir auf dem Platz vor dem Museum verkosten dürfen.
Passend zu den inzwischen sommerlichen Temperaturen wartet auf uns zum
Abschluss ein Volker-Bräu Weizenbier. Mit seinem leichten Bananen-Aroma ist es
eine willkommene Erfrischung, bevor wir die letzten Meter der Führung angehen.
Alzeyer Museum
Vor dem ehemaligen Gelände der Kronenbrauerei – gegenüber
dem Museum – steht heute der „Schnatz vom Kronenplatz“, eine Bronzefigur,
die an den früheren Treffpunkt mit Kiosk erinnert, an dem sich die Alzeyer
trafen und „babbelten“.
Stillgelegte Germania Brauerei
Auf unseren letzten Metern hoch die Antoniterstraße entlang
halten wir noch kurz vor dem Areal der stillgelegten Germania Brauerei, bevor
unsere erlebnisreiche und sehr informative Tour am heutigen Tag endet.
Wer sich nach der Tour noch mit einigen Flaschen Alzeyer
Volker-Bräu für sich oder die Lieben daheim eindecken möchte, der kann
anschließend noch die wenigen Meter hin zur Albiger Straße 7a absolvieren. Im
dortigen Gast-/Seminarraum können auf Anfrage zudem Braukurse und Bierproben
für bis zu 30 Personen gebucht werden.
Sie möchten einmal selbst auf den Spuren der Biergeschichte in Alzey wandern? Die Kostümführung „Unterwegs auf den Spuren der Alzeyer Bier-Brauer“ kann von Interessierten direkt bei der Tourist Information Alzeyer Land gebucht werden.
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